Kopfzeile

Inhalt

 

Die geschichtlichen Gegebenheiten, die Entstehung und Entwicklung der Gemeinde beeinflussten, sind derart mit denjenigen der ganzen Talschaft verstrickt, dass es schwer fällt, einige lokalgeschichtlichen Aspekte daraus zu entflechten.
Als erster Grundherr der Gegend "ze dem Wassere", die den Hof "Nesselove" umgab, ist Ritter Heinrich von Kempten bekannt. Dieser verkaufte im Jahr 1261 seinen grossen Besitz an Wiesen, Weiden, Wäldern und Alpen samt der Gerichtsbarkeit über die Bewohner dieser Gegend für 114 Mark Silber an das Kloster St. Johann (Alt St. Johann).

Im gleichen Jahr nennt eine Urkunde einen "Konrad von Nesselove". Er erscheint als Urkundenzeuge in einem Lehensvertrag über die "Bruodirswendi" (Stein?). Geschichtsschreiber aus der Mitte des letzten Jahrhunderts berichten, dass dessen Stammsitz eine Burg auf einem Hügel in Lutenwil gewesen sein soll. Gemeint ist wohl das dem Namen nach noch heute an eine Burg erinnernde "Bürgli". In alten Burgenkarten ist an besagtem Standort eine Ruine eingetragen, aber urkundliche Beweise über das Vorhandensein dieser Burg kennen wir keine.

Diese St. Johanner-Urkunde aus dem Jahre 1261 ist für die Gemeinde noch aus einem anderen Grund interessant und bedeutungsvoll. Darin erscheint zum ersten Mal der Name von Gemeinde und Dorf in seinem unverfälschten heutigen Wortklang und Schriftbild als Nesselove.

Von der Ortschaft "ze dem Wassere" hat der Gerichtsbezirk, den das Dorf Nesslau mit Lutenwil und Riet bildete, seinen Namen "Gericht zum Wasser" erhalten. Das Gericht zum Wasser umfasste das Gebiet rechts der Thur und links der Luteren samt schattenhalb Riet. Links der Thur lag das "Gericht Thurtal", das zu den Stammlanden der Grafen von Toggenburg gehört hatte. Es erstreckte sich vom Dürrenbach über Laad, Schneit, Büel, Blomberg bis zum Steinenbach. Dazu gehörten rechts der Thur Sidwald, Krummenau, Wintersberg bis zum Gieselbach, sowie die Vogteien über Schlatt, Enetbüel und Aemelsberg.

Im Jahr 1468 wurde das Gericht Thurtal, das damals den Grafen von Raron gehörte, von der Abtei St. Gallen erworben. Als 1555 das völlig verarmte Kloster St. Johann ebenfalls an die Abtei überging, erwarb diese auch die Grundherrschaft über das Gericht zum Wasser. Die Bewohner dieser beiden Gerichte waren in Bezug auf ihre Freiheiten jahrzehntelang sehr unterschiedlich behandelt worden. Schon die Grafen von Toggenburg hatten die Bewohner des Gerichtes Thurtal mit weitgehenden Frei­heiten, die später von den Raronern erweitert und von der Abtei St. Gallen bestätigt wurden, bedacht. Die Bewohner des Gerichtes zum Wasser hingegen erhielten die gleichen Freiheiten erst, als sie 1555 Gotteshausleute des Stifts St. Gallen wurden.

Die Reformation fand im Toggenburg begeisterte Aufnahme, wohl nicht zuletzt, weil Zwingli einer der ihren war. Im Jahr 1528 war sie praktisch in der ganzen Talschaft abgeschlossen. Beinah sämtliche Angehörigen des Gerichts zum Wasser waren zum neuen Glauben übergetreten. Erst unter der Gerichtsbarkeit des Fürstabtes von St. Gallen bildete sich durch gezielte Ansiedlung katholischer Hintersassen nach und nach wieder eine kleine Minderheit Altgläubiger. Als diese die Wiedereinführung des katholischen Gottesdienstes in der Nesslauer Kirche verlangten, liess Abt Bernhard 1595 wieder einen Altar aufstellen. Diese Massnahme rief folgenschwere Unruhen hervor. Die Kirche wurde aber fortan von beiden Konfessionen gemeinschaftlich benützt.

Die folgenden hundertfünfzig Jahre waren gekennzeichnet durch immer stärker werdenden Druck der äbtischen Regierung auf die Protestanten, was den Widerstand der reformierten Nesslauer derart erhärtete, dass sie bis zu Gewalttaten schritten. Ruhe zwischen den beiden Konfessionen trat erst ein, als nach Aufhebung des Klosters Neu St. Johann den Katholiken die Pfarrkirche Neu St. Johann angewiesen wurde und sich die beiden Parteien im Jahr 1806 zur friedlichen Abkurung ihrer Kirchengüter bereit fanden.

Der Einfluss der Französischen Revolution ging nicht spurlos an der Bevölkerung vorüber. Nach der Befreiung aus äbtischer Herrschaft, die mit Jubel begrüsst wurde, folgten Jahre mit weit grösseren Lasten und Sorgen. Französische und teils auch österreichische Heere zogen durch unser Tal. Diese belasteten unsere ohnehin nicht sehr begüterte Bevölkerung mit Truppenverpflegung und Requisitionen. Aus Ställen und Scheunen wurden Vieh und Futtermittel abgeführt. Die Folge davon waren bittere Verarmung und Hungersnot.

Mit der Einführung der Helvetischen Einheitsverfassung wurde Nesslau Munizipalität, d. h. eine Art Verwaltungsbezirk, und kam durch völlig willkürliche Grenzziehung zum Kanton Linth. Bei der Gründung des Kantons St. Gallen im Jahre 1803 entstand aus der Munizipalität Nesslau in gleicher Grösse und Gestalt die Gemeinde Nesslau.

Die Regenerationsverfassung von 1831 brachte regional eine Änderung. Bis dahin reichte der Bezirk Obertoggenburg von Wildhaus bis Lichtensteig. Die neue Verfassung unterteilte diesen in die Bezirke Neu- und Obertoggenburg.

Eine neue Zeit begann für die Gemeinde mit der Eröffnung der Bahnlinie Ebnat-Kappel -Nesslau im Jahr 1912. Nesslau als Endstation der Bodensee-Toggenburg-Bahn wurde zum bedeutenden Personen- und Warenumschlagplatz. Wenige Jahre später erfolgte 1918 die Ablösung der Pferdepost durch die Postautos. Damit trat neuerdings eine Steigerung im Personen- und Warenverkehr ein, denn nun war das Obertoggenburg dem Tourismus endgültig erschlossen. Nesslau gewann an Bedeutung und bald zeigte sich auch eine gewisse Neustrukturierung der Bevölkerung.

Nesslau 1924
Nesslau 1924